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Donnerstag, 7. September 2023

Dorfleben in den Highlands: Land, Schweine und Frauen


Die letzten vier Tage waren geprägt von dermaßen rührender Gastfreundschaft, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Aber fangen wir von vorne an:

Carolin und ich flogen am Montag von Port Moresby nach Mount Hagen, im westlichen Hochland Papua Neuguineas. Dort wurden wir von Present und ihrem Bruder Nelson bereits erwartet. Die zwei wohnen in einem kleinen Dorf namens Kelam Village, das ein paar Kilometer außerhalb von Mount Hagen liegt. Scheinbar haben sie dort noch nie ausländische Gäste gehabt. Wir sind also die ersten. Dementsprechend aufgeregt waren die beiden. Den Kontakt zu ihnen bekam ich von Maryanne aus Goroka vermittelt. Maryanne ist Mitglied auf Couchsurfing und erzählte mir, dass ihre Freundin Present schon lange davon träumt ausländische Gäste zu beherbergen. In Zukunft möchte sie dann sogar vielleicht einmal Homestays für Touristen anbieten. 

Present und Nelson haben extra ein Auto organisiert um uns am Flughafen abzuholen. Sie fuhren uns noch eine Runde durch Mount Hagen. Keine schöne Stadt auf den ersten Blick. Viele Menschen, viel Dreck, Abgase und jede Menge zwielichtiger Gestalten treiben sich hier herum. Mount Hagen hat immerhin den Ruf neben Port Moresby eine der gefährlichsten Städte im Land zu sein. Wir hielten am Markt. Nelson blieb im Auto um auf unsere Sachen aufzupassen. Gemeinsam mit Present kauften wir ein paar Früchte ein. Man hat das Gefühl, dass die Leute alle grimmig dreinschauen. Sobald sie uns aber erblickten, verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck in ein breites Grinsen. Sie zeigten ihre blutroten Lippen und die ebenso roten - und für unsere Verhältnisse ziemlich desolaten - Zähne. Zwischendurch spuckten sie eine intensiv rote Flüssigkeit in hohem Bogen auf den verdreckten Boden. Sehr befremdlich das alles. Die Marktfrauen winkten uns freudig zu. Langsam merkten wir, dass uns die meisten hier sehr wohlgesonnen schienen. Es kommt bestimmt nicht oft vor, daß sie weiße Touristen hier zu sehen bekommen.

In Kelam Village

Das beliebteste Hobby hier in PNG: Betelnuss kauen

Als wir wieder im Auto waren, war auch Nelson bereits fest am Kauen und Spucken. Nun überkam mich die Neugier. Zu gerne würde ich so eine Betelnuss ausprobieren. Nelson fand das super. Sofort besorgte er mir so ein Ding und zeigte mir voller Freude Schritt für Schritt wie ich dabei vorgehen muss. Zuerst wird die Nussschale mit dem Mund geöffnet. Die Nuss darin stopft man sich nun in die Wangentasche und beginnt zu kauen. Dazu erhält man ein kleines Säckchen Kalkpulver und einen Stick (welcher aus irgendeiner Pflanze besteht). Während man kaut taucht man den Stick immer wieder in den Kalk und beißt davon ab. Durch die Reaktion mit dem Kalk und der Betelnuss entsteht wohl die aufputschende Wirkung. Vom Geschmack her war es anfangs etwas bitter. Mit der Zeit schmeckte es fast so wie Zimt. Bei dieser ganzen Prozedur wird der Speichelfluss angeregt. Deshalb auch das ständige Spucken. Je länger man darauf herumkaut desto roter wird die Paste. Man sollte das Ganze wohl 10 - 30 Minuten im Mund behalten und nicht schlucken. Der Mund wurde mit der Zeit leicht taub. Und irgendwie fühlte ich mich  wacher und vielleicht ein bisschen vernebelt.

Rote Lippen, Zungen und Zähne vom Betelnuss kauen

Große Aufregung in Kelam Village

Über eine unasphaltierte Straße ging es hinein in eine saftig grüne Landschaft. Endlich weg von der Stadt. Vorbei an Bananenstauden und den ersten Strohhütten. Wir stoppten auf einer großen Wiese vor einer riesigen Rundhütte aus Stroh. Dort würden sich die Männer treffen und Dinge besprechen. Alles was dort gesagt wird darf nicht nach außen getragen werden. Das ist also das Dorfzentrum von Kelam Village. Langsam nähern sich Dorfbewohner aus allen Richtungen. Sie gehören übrigens dem Stamm der Jika Komapi an. Alle im Dorf wissen bescheid, dass wir kommen und sind schon seit Tagen aufgeregt. Nach der Reihe wollten sie nun unsere Hände schütteln und uns umarmen. Jeder mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Immer wieder hörten wir wie sehr sie sich geehrt fühlen, dass wir in ihr Dorf kommen. So viel Aufmerksamkeit waren wir nicht gewohnt. Große Kinderaugen starrten uns neugierig aber etwas ängstlich an. Einige versteckten sich hinter den Erwachsenen. Es war irrsinnig rührend zu sehen wie sie sich aus vollem Herzen zu freuen schienen. Besonders süß waren die älteren Frauen. Sie ließen jauchzende Freudeschreie von sich und wedelten mit den Händen als Zeichen ihrer Aufregung und Freude. 


Mit einem drei Monate altem Baby im Arm. Der Kleine hat noch nicht einmal einen Namen.

Wir fuhren noch ein kleines Stück mit dem Auto. Die letzten paar hundert Meter zu Presents Zuhause mussten wir zu Fuß zurücklegen. Present zeigte uns unsere Strohhütte. Sie war dekoriert mit Pflanzen und Blumen. Ihr Vater hat das extra für uns gemacht. Seit Tagen bereiten sie wohl schon alles für uns vor. Es wurden uns viele weitere Familienmitglieder vorgestellt. Darunter ganz viele Mamas, Papas und Brüder. Es war für uns nicht ganz eindeutig wie das Verwandtschaftsverhältnis nun genau war. Auch wenn man nach dem Alter fragte kamen meistens Antworten wie: "Ich glaube ich bin so ungefähr ... Jahre alt" oder sie sagten von Vornherein sie wüssten es nicht.

Auf dem Grundstück gibt es eine eigene Hütte, in der gekocht wird und eine kleine Hütte, die als Toilette dient - also einfach ein kleines Loch im Holzboden, das man bestenfalls treffen sollte. Sie haben sogar Strom, welcher im Moment jedoch ausgefallen ist. Fließendes Wasser aus der Leitung gibt es nicht. Zum Waschen folgt man einem kleinen Pfad zum Bach hinunter. Dort gibt es sogar frisches Quellwasser zum Trinken. 

Alfred zeigt uns stolz seine Strohhütte


Die Toilette ;)

Hier kreucht und fleucht so einiges. Present hat mir versichert das diese Spinne nicht beißt.


Dorfleben

Am nächsten Tag spazierten wir durch das Dorf und schüttelten Unmengen an Händen. Außerdem wollten alle Fotos mit uns. Oft hatten sie nicht einmal ein Handy, wir sollten mit unserem die Fotos machen und mussten versprechen ihnen diese irgendwann irgendwie zukommen zu lassen. Sie zeigten uns ihre riesigen Gemüse- und Obstgärten. Angepflanzt werden vor allem Kartoffeln, Süßkartoffeln, Brokkoli, Bananen, Taro und Kürbisse. Zudem sahen wir Passaionsfruchtbäume, Avocadobäume, Ingwer und Erdnüsse. Wir durften zudem beim Kartoffeln ernten helfen. Es sorgte für viel Staunen, dass wir als "Weiße" uns freiwillig die Hände schmutzig machten.

Bei der Kartoffelernte

Wir bekamen viel Gemüse geschenkt und immer wieder Betelnüsse angeboten. Am späteren Nachmittag wurde dann angefangen zu kochen: alles frisch geerntetes Gemüse aus Eigenanbau. Am meisten werden Süßkartoffeln gegessen. Das ist sozusagen das täglich Brot der Dorfbewohner. An einem Abend haben wir ein lebendiges Huhn geschlachtet und gemeinsam mit Süßkartoffeln auf eine besondere Art zubereitet, welche sich "Mumu" nennt. Dabei werden Steine im Lagerfeuer erhitzt und dann in ein Erdloch gegeben. Darüber legt man dann die von Bananenblättern und Farnen umwickelten Speisen. In unserem Fall die Süßkartoffeln und das Huhn. Zuletzt kommen noch einmal heiße Steine darüber. Etwa eine Stunde später ist die Mahlzeit fertig. Sehr lecker! 

"Mumu"

Trotzdem sind die hygienischen Umstände für uns teilweise noch gewöhnungbedürftig. So wird das Küchenmesser parallel zum Gemüse schneiden auch zur Fußpflege benutzt. Rose knetet stundenlang mit ihren Händen in einer blutroten Matsche herum: Red Pandanut. Als wir nach dem Abnagen der Hühnerkeule den Knochen aufs Teller legten, fragte Present erstaunt ob wir denn das Beste nicht essen würden. Kurzerhand nahm sie unseren abgenagten Knochen und kaute voller Freude den Knorpel ab. Sowieso wird von dem Tier wirklich alles gegessen: Der komplette Kopf, die Krallen und natürlich sämtliche Teile des Darms. 

Rose beim Zubereiten der Red Pandanut

Unser Abendessen wird gerupft

Die Sache mit den Schweinen und der Zauberei

Die Abende saßen wir gemeinsam in der verrauchten Küchenhütte rund um das Feuer beisammen und tauschten Geschichten aus. Wir haben sehr viel Interessantes erfahren wie beispielsweise, dass die meisten Stammeskriege aufgrund von Streit um Land, Schweine und/oder Frauen entstehen. Schweine haben sowieso einen sehr großen Wert. Man könne sogar umgebracht werden, wenn man das Schwein eines anderen berühre. 

Rose, eine überzeugte Single Dame in ihren vierzigern, möchte keinen Mann aus PNG, wie sie erzählt. Die Männer hier würden ihre Frauen schlecht behandeln, teilweise schlagen und wenn sie sie loswerden wollen sogar umbringen. Kaum vorzustellen, wenn man sich die freundlichen, teilweise sogar schüchternen Jungs im Dorf ansieht. Aber irgendwie glaube ich ihr das trotzdem. Nicht umsonst gibt es hier im Land eine der höchsten Vergewaltigungsraten weltweit. Männer dürfen zudem mehrere Frauen haben, was Rose auch nicht sonderlich toll findet. 

Obwohl sie immer wieder betonten, dass PNG ein sehr sicheres Land sei, kamen ebenso viele Warnungen. Besonders in Acht nehmen sollten wir uns in den Küstenregionen. Dort gäbe es sozusagene Hexer, die mit Zauberei arbeiten. Wir sollten dort niemals Geschenke oder Essen annehmen. Durch so einen Zauber könnten wir das Bewusstsein verlieren und uns am nächsten Tag verheiratet mit einem Einheimischen wiederfinden. Der Zauber könne Jahre andauern. Sie würden sogar eine weiße Frau kennen, die auf diese Weise mit einem Mann verheiratet wurde und erst nach Jahren flüchten konnte. Es ist schon interessant, wie die Menschen an der Küste uns vor den Leuten im Hochland warnten und nun genau umgekehrt die Hochländer uns vor den Küstenmenschen warnen. Das Unbekannte scheint halt doch immer mit Ängsten verbunden zu sein.

In der zweiten Nacht wurde ich gegen ein Uhr von meinem eigenen Aufschrei geweckt. Wahrscheinlich hatte ich einen Alptraum. Irgendwie wackelte mein ganzes Bett. Träumte ich immer noch? Als ich auf mein Handy schaute, schien tatsächlich schon eine Warnung auf. Es gäbe im Moment ein Erdbeben der Stärke 5,9 in meiner Region. Die Wackelei ging ziemlich lange und war schon ein bisschen furchteinflößend. Noch nie zuvor hatte ich ein Erdbeben erlebt. Am nächsten Tag amüsierten sich alle herrlich über meinen Aufschrei in der Nacht. Den hatten durch die dünnen Wände der Strohhütte natürlich alle gehört. Für sie schien ein Erdbeben nichts Ungewöhnliches zu sein, obwohl sie zugeben mussten, dass dieses besonders stark war.  

In der Küchenhütte

Kurz zusammengefasst kann ich sagen, dass ich noch nie zuvor so viele Hände geschüttelt habe wie in den letzten Tagen. Immer wieder wurden wir neuen Leuten vorgestellt. Es war tatsächlich teilweise ein bisschen anstrengend. Aber die unglaubliche Gastfreundschaft machte alles wieder gut. Sie schenkten uns sogar eine selbstgemachte traditionelle Bilum (= Handtasche), eine landestypische Bluse (obwohl es eher ein Kleid ist) und eine Halskette. 

Mit unserer Bilum und dem traditionellen Kleid

Das konträre Thema mit der Sicherheit

Heute, am Donnerstag, ging es für Carolin und mich weiter nach Kundiawa. Von hier aus wollen wir morgen den höchsten Berg des australischen Kontinents besteigen: den Mount Wilhelm mit seinen 4.509 m Höhe. Present sowie Maryanne halfen uns mit Kontakten in Kundiawa weiter. Ja, hier in PNG läuft alles über Kontakte. Wenn man einheimische Freunde hat ist man in sicheren Händen. Sonst könnte es wohl schnell gefährlich werden. Obwohl ich sagen muss, dass mir das Thema Sicherheit hier immer noch ein Rätsel ist. Auf der einen Seite meinte Present mehrmals, dass das Hochland gar nicht so gefährlich sei und man frei herumlaufen könne. Auf der anderen Seite ließ sie uns am Busbahnhof erst aus ihrem privaten Auto aussteigen, als der Bus zur Abfahrt bereit war. Sie redete lange mit dem Busfahrer und tauschte sogar Nummern mit ihm aus, um uns in sicheren Händen zu wissen. Zusätzlich gab sie uns Unmengen an Warnungen mit: Wir sollten das Fenster im Bus immer geschlossen halten. Niemals unser Handy aus der Tasche holen. Keinesfalls Geld zeigen. Es wurde sogar organisiert, dass wir gleich in Kundiawa wieder direkt an der Bushaltestelle abgeholt wurden. Ständig werden wir von Aufpassern begleitet. Gibt es da vielleicht etwas das sie uns verheimlichen oder nicht sagen wollen? Vor dem uns alle mit ihrer Überfürsorglichkeit schützen möchten? Ein dunkles Geheimnis? Uns kamen wieder die Worte des Österreichers am Flughafen in den Sinn: "Aufpassen, das Land ist sehr speziell!" 



Bis bald!

Eure Michi :)




=> Hier findest du noch mehr Fotos und Videos von Kelam Village und Mount Hagen <=






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