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Freitag, 27. Dezember 2024

Los Nevados: Wo die Zeit stillzustehen scheint

By On Dezember 27, 2024


Los Nevados, Mérida, Venezuela

Mission Transportmittel

Einen Transport in das Bergdörfchen Los Nevados zu finden, war wieder mal ein Krampf. Es hieß, dass ich am Plaza Las Heroínas in Mérida suchen sollte. Dort hätte ein Herr sein Büro, der für die Jeeps verantwortlich sei, die dorthin fahren. Leider war das Büro geschlossen. Ich fragte ein paar der Männer, die dort ihre Sachen verkauften, ob sie mir irgendeine Auskunft geben könnten. Sie meinten, ich solle morgen - am Montag - einfach um 7 Uhr früh hierher kommen, denn montags würde eigentlich immer ein Jeep fahren. Ich versuchte die Telefonnummer, die an der Bürotüre angebracht war, anzurufen - jedoch erfolglos. Über mehrere Ecken bekam ich eine andere Nummer. Derjenige, der abnahm, meinte dass erst mittwochs wieder ein Jeep fahren würde. Das war mir eindeutig zu spät. Schön langsam rennt mir nämlich die Zeit davon. In gut zwei Wochen sollte ich schon auf den Galapagos Inseln sein. Nach ewigem Recherchieren fand ich noch eine weitere Nummer. Dieser Herr meinte wiederum, morgen um 7 Uhr würde ein Transportmittel vom Plaza Las Heroínas abfahren. Mein Wecker klingelte also am Montag um 5 Uhr morgens. Die Nacht war ziemlich nervenaufreibend, da im Nachbarhaus die ganze Nacht Fiesta angesagt war. Alirio erlaubte mir weiterhin Sachen in seinem Haus zu deponieren. Es fühlte sich mittlerweile schon an wie mein eigenes Haus. Alirio habe ich seit über einer Woche nicht mehr gesehen. Nach einem 40-minütigen Fußmarsch erreichte ich den Plaza. Dort saßen tatsächlich die Herren mit dem Jeep. Sie meinten wir müssten warten, da noch keine weiteren Fahrgäste da wären. Über zwei Stunden saß ich mit ihnen da. Dann musste ich einsehen, dass heute niemand mehr kommen würde. Ich gebe zu, dass ich etwas angepisst war. Sie versicherten mir aber, dass sie morgen 100%ig fahren würden. Wenn ich jedoch 60 USD zahlen würde, könnten sie mich auch sozusagen als Privattransport da rauf bringen. Das war mir eindeutig zu viel. Ansonsten würde die Fahrt nämlich 20 USD kosten. Im Prinzip war der Montag dann ein verlorener Tag. Ich war sowieso ziemlich müde und beschloss mir die Zeit mit Frustessen zu vertreiben. Ich gönnte mir Tiramisu, Eiskaffee, ein leckeres Abendessen usw. Es hieß ich sollte am Montag um 9 Uhr wieder am Plaza Las Heroínas sein. Um 10 Uhr würden wir losfahren. Ich startete also einen erneuten Versuch. Mittlerweile war der 24. Dezember - also Heiliger Abend. Wie sehr wünschte ich mir doch als kleines Weihnachtsgeschenk, dass das heute klappt. Ich hatte überhaupt keine Lust Weihnachten in Mérida zu verbringen. Am Plaza angekommen, waren schon mehrere Leute vor Ort. Es wurde auch schon gleich begonnen, das Gepäck auf das Dach des Jeeps aufzuladen und festzubinden. Auch mein Rucksack. Um 9:20 Uhr fuhren wir los. Man kann sich also auf Uhrzeiten in Venezuela null verlassen - entweder wird viel zu früh oder viel zu spät gestartet *lach*. Aber ich denke Zeit spielt hier einfach keine Rolle. 


Das idyllische Bergdörfchen Los Nevados


Eine abenteuerliche Fahrt

Als ich später im Jeep saß und sogar vorne sitzen durfte war mein Glück perfekt. Wir quetschten uns zu dritt auf die zwei Vordersitze, fünf Leute am Rücksitz und zwei im Kofferraum. Wir fuhren noch ewig lange herum, um Sachen einzukaufen und um zu tanken. Die nächsten 60 km ging es steile, sehr abschüssige und großteils unasphaltierte Bergstraßen hoch - das ist eindeutig nichts für schwache Nerven. Der Weg windet sich von Mérida aus durch die spektakuläre Bergwelt und schlängelt sich immer weiter hinauf, vorbei an tiefen Schluchten und durch Nebelwälder. Dem Mädchen neben mir war übel und wir mussten mehrmals halten, da sie sich übergeben musste. Einmal machten wir einen längeren Stopp. Mir wurde zum ersten Mal Chicha serviert. Es handelt sich dabei um ein traditionelles Getränk Venezuelas, das durch das Fermentieren von Mais hergestellt wird. Es schmeckt recht süß und leicht alkoholisch.  Nach etwa 5 Stunden Fahrt kamen wir endlich in dem Dörfchen Los Nevados an.


Los Nevados - ein Bergdorf auf 2.700 m Seehöhe

Los Nevados ist ein charmantes Bergdörfchen auf 2.710m Seehöhe inmitten des Sierra Nevada Nationalparks. Es wurde im Jahr 1591 von spanischen Kolonisten gegründet und ist somit eines der ältesten Dörfer in der Region. Die abgelegene Lage macht das Dorf zu einem isolierten Ort, was dazu beitrug, dass viele der Traditionen, Bräuche und die Architektur aus der Kolonialzeit bis heute bewahrt wurden. Die Menschen in Los Nevados leben schon seit Jahrhunderten von Viehzucht, Landwirtschaft und Handwerk. 

Das Dorf ist tatsächlich noch kleiner als ich dachte. Es besteht vielleicht aus 15 Häusern. Mit seinen engen, kopfsteingepflasterten Straßen, den rustikalen Lehmhäusern und der kleinen Kirche, fühlte es sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben. In etwa fünf Minuten hat man das ganze Dorfzentrum durchwandert. Am Platz vor der Kirche tummelten sich ein paar Leute. Ein Mann sattelte gerade seinen Muli. Pferde und Muli sind hier die gängigsten Transportmittel. Einige haben ein Moped. Autos gibt es nicht. 


Die Kirche von Los Nevados wurde ursprünglich 1630 errichtet und 1917 restauriert. 

Weihnachten in den Anden 

Meine Unterkunft hier heißt Bella Vista und hat eindeutig den besten Ausblick im ganzen Dorf. Preis: 25 USD inklusive Frühstück und Abendessen. Es gibt sogar Warmwasser und WLAN auf der Terrasse. Neben mir sind noch zwei weitere Gäste angekommen: ein Vater mit seinem Sohn. Sie kommen aus Caracas und möchten gerne Weihnachten hier verbringen. Wir aßen zusammen zu Abend. Es wurde üppig aufgetischt. Zuerst ein großes Teller Gemüsesuppe. Ich dachte eigentlich das wäre die Hauptspeise. Doch dann kam noch gebratener Fisch, Reis, Kartoffeln und Salat. Dazu frisch gepresster Mangosaft. Und zulguterletzt noch ein Stück leckerer, selbstgebackener Kuchen. Und das Beste: es kommt alles aus dem eigenen Garten, was man hier serviert bekommt. Die Menschen leben nämlich großteils als Selbstversorger. Nur sehr selten wird der lange und beschwerliche Weg in die Stadt auf sich genommen. 


Meine Unterkunft, die Posada Bella Vista

Leckere Gemüsesuppe

Nach dem Abendessen erklang die Kirchenglocke. Die Dorfbewohner versammelten sich in der kleinen Kirche, um an der Messe teilzunehmen. Währenddessen genoss ich auf der Terrasse die sternenklare Nacht. Den Heiligen Abend in dem kleinen Dörfchen Los Nevados zu verbringen, umgeben nur von der stillen, atemberaubenden Bergwelt war etwas ganz Besonderes. 

Wanderungen rund um Los Nevados

Die Nacht war kalt. Ich war um die zwei Bettdecken sehr froh. Geschlafen haben ich hervorragend, denn es war wunderbar leise - was in Venezuela absolut nicht die Norm ist - und auch die kühle Luft war eine willkommene Abwechslung zu den sonst oft recht schweißtreibenden Nächten. Ich frühstückte tatsächlich mit dem Pastor, der gestern die Messe hielt. Er ist extra dafür aus Mérida angereist. In Los Nevados gibt's nämlich weder einen Pastor, noch einen Arzt oder eine Krankenschwester. Das heißt, wenn man mal akut erkrankt oder verunfallt muss man erst stundenlang steile, unbefestigte Bergstraßen hinunter gefahren werden bis nach Mérida. Der Pastor erzählte mir, dass er einige Jahre in Rom gelebt hat. Und dass vor über 20 Jahren hier wohl auch öfters ausländische Touristen ankamen. Das Frühstück war wieder sehr reichhaltig: Arepas, eine Avocado, Spiegeleier, Käse, Marmelade, Kaffee und frisch gepresster Guavensaft. Und alles selbstgemacht! Das Frühstück und Abendessen variierte übrigens jeden Morgen. Und es war jedes Mal köstlich! 

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich mit ausgiebigen Wanderungen. Einmal ging es in Richtung Pico Bolívar, der höchste Berg Venezuelas, der stolze 4.978m hoch ist. Ich erklomm zwar nicht den Gipfel, aber ich konnte ihn aus nächster Nähe betrachten. Am Morgen ist er manchmal leicht schneebedeckt, aber da die Sonne tagsüber so warm vom Himmel strahlt, schmilzt dieser auch ganz schnell wieder. Ich machte bei etwa 4.000m kehrt, da Wolken aufzogen. Ich wollte in kein Unwetter kommen, da ich doch ziemlich weit von Los Nevados entfernt war und auf einer solchen Höhe ist das wahrscheinlich nicht sonderlich angenehm. Am Rückweg lichtete sich der Himmel aber wieder und ich gönnte mir ein Bad in einem eiskalten Gebirgsbach. Später kam ich an ein paar Lehmhäusern vorbei und unterhielt mich mit den Farmern. Sie stellten ganz neugierige Fragen, da es ihnen doch recht ungewöhnlich schien hier ein Blondine anzutreffen, die ganz alleine durch die Berge wandert. 


Blick hinunter auf Los Nevados

Augenscheinlich gibt es hier Skorpione. Dieser hier befindet sich aber nicht mehr unter den Lebenden.


Viele abgelegene Farmen, gebaut aus Lehm. 



Mein heutiger Badeplatz :)

Die Wanderung am Donnerstag ging nicht so hoch hinaus. Zuerst wanderte ich eine tiefe Schlucht hinunter, wo ein glasklarer, eiskalter Fluss war. Die Abkühlung sparte ich mir für den Rückweg auf. Auf der anderen Seite wanderte ich wieder bergauf. Es gibt unzählige kleine Wege. Ich war erstaunt wie weit abseits viele Menschen hier in ihren Lehmhäusern leben. Sie haben weder Autos noch Motorräder. Wenn sie nach Los Nevados wollen müssen sie dort zu Fuß hin, was wohl mehrere Stunden dauert.  Oder sie nehmen den Muli oder ein Pferd. Aber da sie sowieso fast alles was sie brauchen selbst anbauen, ist das vermutlich nicht sonderlich oft nötig. 

Und wieder ist ein schöner Badeplatz gefunden



Mais wird auf Tierfellen getrocknet


Ein Dreschplatz für Getreide. Mithilfe von Ochsen wird das Getreide hier gedroschen. 


Zurück im Ort saß ich mit ein paar Dorfbewohnern im Schatten zum Plaudern. Ein netter Herr kam gerade mit seinem Muli angeritten und verkaufte mir ein paar seiner frisch geernteten Granadillas ( = so etwas ähnliches wie eine Maracuja, jedoch ist die Schale gelb und das Fruchtfleisch sehr süß). 


Ein Muli


Heute, am Freitag, sollte es wieder zurück nach Mérida gehen. Vorausgesetzt es kommt ein Jeep. Es hieß, dass normalerweise jeden Freitag um 12 Uhr einer auftauchen sollte. Also wartete ich am Kirchenvorplatz. Es war natürlich wieder einmal eine Geduldsprobe. Zwischendurch überlegte ich, ob ich vielleicht besser jemanden mit einem Motorbike zahlen sollte. Die Besitzerin meiner Unterkunft meinte, dass ich das nur im äußersten Notfall machen sollte, da die Fahrt einige Stunden dauert. Die Wege wären staubig und die die Sonne knallt vom Himmel. Um kurz vor 14 Uhr kam dann endlich doch noch der Jeep an. Die Rückfahrt dauerte erfreulicherweise "nur" drei Stunden. Ich konnte wieder vorne sitzen. Diesmal teilte ich mir den Sitzplatz mit einem recht molligen Mädchen - es war also ziemlich eng. Aber wenigstens musste sie nicht erbrechen. Die Rückfahrt kostete 15 USD. Nun werde ich noch eine Nacht in Mérida verbringen, bevor ich dann morgen weiter ziehe nach Barquisimeto



Eure Michi :)









Sonntag, 22. Dezember 2024

La Azulita: Ein verborgenes Paradies in Venezuelas Nebelwald

By On Dezember 22, 2024

 

Es hat tatsächlich geklappt und ich konnte letzten Mittwoch noch einen Transport nach La Azulita finden. Und zwar in einem "Carrito" - ein sogenanntes Sammeltaxi. Damit ist ein normales Auto gemeint. Wir waren demzufolge vier Passagiere und jeder zahlte 10 USD für die knapp 3-stündige Fahrt von Mérida nach La Azulita


Wasserfälle, bunte Vögel und ganz viel Herzlichkeit

... dafür ist das Dörfchen La Azulita bekannt. Es ist ein absoluter Geheimtipp und befindet sich eingebettet in üppige Nebelwälder in den Anden Venezuelas. Angebaut wird vor allem Kaffee und Kakao. Was den Ort so besonders macht sind seine Wasserfälle und die faszinierende Vogelwelt - von Kolibris über Papageien bis hin zu Tukanen ist hier alles vertreten. Doch nicht nur die Landschaft macht La Azulita so besonders - es sind vor allem auch die Menschen. Sie sind bekannt für ihre herzliche Gastfreundschaft. 

La Azulita, Mérida, Venezuela

In La Azulita wird viel Kakao angebaut

El Rancho

... so heißt meine Unterkunft für die nächsten Tage. Die Besitzer sind Franklin und Alejandra, ein super herzliches Pärchen etwa in meinem Alter. Sie und ihre zwei Kids empfingen mich mit offenen Armen und ich war sogleich Teil der Familie. Wir verbrachten jeden Abend zusammen im Garten bei einem leckeren Abendessen und vielen spannenden Gesprächen. Die Unterkunft kostet 10 USD/Nacht und ist traumhaft schön. Ich habe ein riesiges Zimmer, das in einer eigenen kleinen Hütte ist, mit Bad und Aussicht in die wunderschöne Natur. Für 3,50 USD kocht Alejandra etwas Leckeres. Die Küche ist draußen im Garten und ich durfte sie mitbenutzen so viel ich wollte. Man könnte hier stundenlang im Gartenstuhl sitzen oder es sich in der Hängematte gemütlich machen, während man die Kolibris, Papageien, Tukane und sonstigen bunten Vögel beobachtet. 

Meine Unterkunft



Tukan

Cascada San Rafael und die Piratenhöhle

Als ich am Donnerstag Morgen aufwachte, hat sich ein kleiner Kolibri in mein Zimmer verirrt. Was für ein schönes Erwachen! Nach dem Frühstück beschloss ich gleich aufzubrechen zu einer ausgiebigen Erkundungstour. Rund um La Azulita befinden sich noch mehrere kleine Dörfchen und Farmen, die man über steile Bergstraßen oder unasphaltierte Wege erreichen kann. Die Einheimischen sind alle super freundlich und stehen mit Rat und Tat zur Seite, wenn man nach dem Weg fragt. Zudem sind sie zumeist super erstaunt, eine ausländische Touristin hier anzutreffen und stellen viele neugierige Fragen. Hinter einem kleinen Häuschen geht ein Wanderweg hinunter zum Wasserfall San Rafael. Der Weg führt durch einen dichten Dschungel mit vielen exotischen Pflanzen und Lianen. Der Wasserfall selbst bietet einen spektakulären, fast magischen Anblick. Und ich war ganz alleine da. Natürlich schmiss ich mich sofort ins kühle Nass.

Cascada San Rafael


Danach wanderte ich ins Ortszentrum von La Azulita. Dort fand ich ein kleines Café und war sehr begeistert von den Preisen dort: für einen Cappuccino und ein großes Glas frisch gepressten Erdbeersaft zahlte ich lediglich 2 USD. Eine riesige, super süße Papaya kostet etwa 50 Cent. 


La Azulita. Vielerorts in Venezuela sind die Stromleitungen mit allerhand Gras bewachsen.

Vom Ortszentrum aus ist es nicht weit zu der Piratenhöhle. Es scheint hier früher mal mehr Tourismus gegeben zu haben (wenn auch nur einheimische Touristen), denn es gibt ein paar in die Jahre gekommene, teils kaputte Brücken und Bänke. Mittlerweile hat der Dschungel hier die Herrschaft übernommen. In die Höhle selbst traute ich mich nicht sonderlich weit hinein, denn es ist ein regelrechtes Labyrinth aus Gängen. Zu groß erschien mir die Gefahr da nicht mehr herauszufinden. Neben mir waren noch massenweise Fledermäuse vor Ort. 

In der Nähe der Piratenhöhle

Für die 5km und etlichen Höhenmeter zurück zu meiner Unterkunft, gönnte ich mir ein Mopedtaxi, welches je nach Fahrer 2 - 3 USD kostet. 


Agua Caliente und der Coca-Cola Wasserfall

Am Freitag war es kein Kolibri, der mich weckte, sondern ein anderer Vogel, der mit seinem Schnabel an die Fensterscheibe im Zimmer hämmerte. Später versuchte er es noch am Fenster im Bad. Alejandra klärte mich auf, dass dieser Vogel das jeden Morgen mache, aber nur in meiner Unterkunft. Sachen gibt's *lach*. 

Nach Kaffee und Bananen-Porridge wanderte ich ins Ortszentrum. Ich würde heute Gerardo treffen. Er ist wieder einmal ein Freund von einem Freund, von einem Bekannten etc. Er sei wohl ein großer Abenteurer und könnte mir Tipps geben für geheime Ecken in der Umgebung hier. Ich war weniger begeistert, als wir dann in seinem Tourismusbüro saßen und er mir Touren vorstellte, die er für einheimische Touristen anbietet. Wer mich kennt weiß, dass ich nur sehr ungerne geführte Touren mache. Nachdem er mich zugetextet hatte, versuchte ich ihm freundlich zu erklären, dass ich keine typische Touristin sei sondern Rucksackreisende und mein Budget sehr begrenzt ist. Zu meiner Überraschung, war er hellauf begeistert und begann mich auszufragen, wie ich das alles genau mache. Es wäre sein großer Traum selber einmal so reisen zu gehen. Zudem würde er mir gerne ein paar wunderschöne Orte zeigen, jedoch möchte er keineswegs Geld dafür, da ich die erste Ausländerin sei, die er hier trifft. Es sei ihm eine große Ehre mir die verborgenen Schätze La Azulitas zu zeigen und er hätte sonst gerade sowieso nichts vor. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. 

Zuerst wollte er mir die Piratenhöhle noch einmal zeigen. Er kennt nämlich die meisten Gänge in diesem Labyrinth. Sehr spannend fand ich auch was für ein Fachwissen er hat. Er erklärte mir allerhand Interessantes über die Höhle, die Fledermäuse und generell über die Flora und Fauna der Gegend. 

Nächster Stopp war der Fluss Agua Caliente (auf deutsch: heißes Wasser). Der Name ist aber ziemlich trügerisch, denn der Fluss ist bekannt dafür besonders kalt zu sein. Ein Sprung ins kühle Nass durfte trotzdem nicht fehlen. 

Danach setzte Gerardo mich kurz in La Azulita bei einer süßen, alten Lady ab, die mir ein absolut leckeres Mittagessen machte. Er müsse kurz nach Hause, danach starten wir eine Wanderung.

Mein üppiges Mittagessen für 4 USD: Fleisch, Bohnen, Reis, Kochbananen, Salat, Käse und Ei. Es gab davor noch eine leckere Suppe und ein Getränk dazu. 

Der nächste Stopp sollte ein Wasserfall sein, der Cascada Coca-Cola heißt. Wir fuhren dazu mit Gerardo's Motorbike zum Ausgangspunkt, welcher sich weit außerhalb des Ortes irgendwo im nirgendwo befindet. Wir besuchten noch Freunde von ihm, die dort eine kleine Farm haben. Für die Wanderung selbst ging Gerardo mit einem eineinhalb Meter langem Holzstock voran. Das sei wichtig wegen der Giftschlangen. Auf solch dicht bewachsenen Dschungelpfaden sei die Gefahr groß, dass man einer solchen begegnet, deshalb sollte man mit dem Stock vor sich her auf den Boden klopfen. Ich war mir nicht sicher, ob ich das unbedingt beruhigend fand. Beim Wasserfall angekommen, handelte es sich wieder um ein absolutes Paradies mitten in diesem Nebelwald. Das Wasser hat eine orange-braune Tönung, ähnlich wie Coca-Cola, daher der Name. Verursacht wird dies durch Mineralien in den Steinen, es ist also absolut sauber. Wir genossen natürlich ein ausgiebiges Bad. 

Cascada Coca-Cola


Bis zum späten Nachmittag war ich mit Gerardo unterwegs. Als ich ihm am Ende etwas Kleingeld in die Hand drückte, um wenigstens das Benzin abzudecken, wollte er dies anfangs gar nicht annehmen. Er erklärte mir immer wieder, wie schön der Tag für ihn gewesen sei und dass ihn meine Reiseerlebnisse sehr inspiriert haben.

Zurück in El Rancho wurde ich von Alejandra mit einer innigen Umarmung begrüßt. Am  Abend lud mich die Familie auf Hallacas ein, das typische Weihnachtsessen in Venezuela.

Hallacas, eingewickelt in Bananenblätter

Mein Plan wäre es gewesen am nächsten Tag zurück nach Mérida zu reisen. Alejandra und Franklin schafften es aber mich zu einer Nacht länger zu überreden. Das war auch gar nicht schwer, denn ich fühlte mich pudelwohl bei ihnen. Zudem wartete Franklin schon seit Tagen auf Benzin. Wenn dieses endlich ankommen würde, dann muss er mit seiner Familie auch nach Mérida ein paar Besorgungen machen, dann könnte ich gleich mitfahren. Die Sache mit dem fehlenden Benzin ist ein ganz verbreitetes Problem in Venezuela, resultierend aus schlechter Infrastruktur der Ölindustrie, Korruption, US-Sanktionen und Verteilungsproblemen. So gibt es im Ort schon seit Tagen keine Möglichkeit zum Tanken mehr. 


Cascada La Palmita

Nachdem ich am Samstag wieder von dem Vögelchen, das gegen die Scheibe klopft, geweckt wurde, beschloss ich zur Abwechslung wieder einmal wandern zu gehen und zwar - oh Wunder - zu einem Wasserfall. Zudem wollte ich im Ort nachfragen, ob es morgen, am Sonntag, einen Transport nach Mérida geben würde, denn die Hoffnung, dass das Benzin heute geliefert würde, teilte ich mit meinen Gastgebern nicht. Kaum losmarschiert, hielt ein älterer Herr mit seinem Moped neben mir und bot mir an mich mitzunehmen. Ich sprang dankend auf sein Klappergefährt auf. Es war ziemlich eng, denn er hatte am Gepäcksträger noch eine Kiste mit allerhand Zeug. Der Gute redete die ganze Fahrt nonstop und ich verstand leider aufgrund des lauten Motors so gut wie nichts. In La Azulita half er mir noch die Frau zu finden, die für die Busse im Ort zuständig ist. Morgen um 10 Uhr würde ein Bus, bzw Buseta (=kleiner Bus) nach Mérida fahren. Sehr gut!

Am Weg zum Cascada La Palmita traf ich auf Gerardo, der mich nun unbedingt dorthin bringen wollte. Ich bestand darauf nun etwas Bewegung zu brauchen, versprach ihm aber ihn später noch in seinem Office zu besuchen. 


Cascada La Palmita 

Neben dem Wasserfall gibt es noch ein Schwimmbad und einen kleinen Park. Dort ist ein Eintritt von 2 USD zu zahlen. Ausnahmsweise waren hier tatsächlich andere Leute. Wahrscheinlich weil Sonntag war. Ein paar Familien picknickten und planschten im Pool herum. Da mich ein plötzlicher Heißhunger überkam, entschied ich mich ein Perro Caliente zu bestellen. Dabei handelt es sich um ein üppiges Hot-Dog mit vielen Saußen, zudem Ei, Fleisch und Chips. Die Venezolaner lieben es. 

Perro Caliente in Venezuela

Als ich später bei Gerardo vorbeischaute, wollte er mir unbedingt seine Zwillinge vorstellen. Die zwei 12-jährigen Jungs hatten große Freude mich zu treffen und durchlöcherten mich mit Fragen. Auch sie träumten vom Reisen und erstaunten mich mit ihrem Wissen. Sie kannten sämtliche Länder in Afrika und wussten sogar, dass die Schweiz für den guten Käse und den Schokolade bekannt ist. Gerardo erzählte, dass sie sehr viele Bücher lesen. Zum Abschied bestand er darauf mir ein T-Shirt zu schenken.

Zurück in El Rancho war tatsächlich ein weiterer Reisender eingetroffen. Dennis aus Deutschland mit seinem Motorrad. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es wurde ein lustiger Abend gemeinsam mit Alejandra und Franklin.

Zurück nach Mérida

Als ich heute nach dem Frühstück ins Dorfzentrum aufbrach für meinen Bus nach Mérida, ist tatsächlich gerade die Tanklieferung angekommen. Eine kilometerlange Auto- und Mopedschlange stand an. Sie ging bis weit außerhalb des Ortskerns. Franklin musste nun den restlichen Tag damit verbringen zu warten bis er endlich dran war. Nach Mérida könnte er also frühestens morgen starten. Ich fand es sehr rührend, als er mir erklärte, dass die Krise in Venezuela den Menschen Menschlichkeit beigebracht hatte. Sie haben so viel durchgemacht, dass es das kleinste Übel wäre, wenn man den ganzen Tag auf etwas warten müsse. Sie würden plaudern und Späße machen. Und dass man einander hilft, sei etwas ganz normales geworden. 

Um kurz vor 10 Uhr war ich dort, wo der Bus abfahren sollte. Leider keine anderen Fahrgäste. Ich rechnete schon mit dem Schlimmsten. Wenn wir erst losfahren würden, sobald das Gefährt voll ist, dann könnte es sich noch um Stunden handeln. Ich dachte an Franklins Worte und beschloss ganz entspannt zu bleiben. 

Um 10:20 Uhr fuhren wir bereits los und zwar mit genau zwei Fahrgästen: ich und eine ältere Lady. Das war wohl mein Glückstag! Ich war zudem richtig begeistert, dass wir diesmal eine andere Strecke fuhren, als die von der ich gekommen bin. Und zwar eine viel schönere, die super steile Bergstraßen entlang führt. Ein normales Auto würde das gar nicht packen. Schlaglöcher ohne Ende und teils abgerutschte Straßen. Kosten für die 3,5-stündige Fahrt: 7 USD. Die Aussichten waren fantastisch. Die ältere Lady erzählte ohne Punkt und Komma. Leider redete sie so leise, dass ich sie nicht wirklich verstand. Das machte ihr aber nichts aus. Sie tätschelte mir zwischendurch die Hand und zum Abschied knutschte sie mich richtig ab. Hier in der Gegend von Mérida sind die Menschen einfach alle so unglaublich herzlich. 


Unabsichtlich Kuttelsuppe bestellt

Ich war froh, als wir endlich am Busbahnhof in Mérida ankamen. Meine Blase hätte nicht mehr lange durchgehalten und ich war hungrig wie ein Wolf. Ich bestellte mir gleich am Busterminal die große Tagessuppe. So ganz verstand ich zwar nicht, was da drin sein sollte, aber essenstechnisch bin ich eigentlich ganz flexibel. Dachte ich zumindest. Bis ich dann bemerkte, dass es sich tatsächlich um eine Kuttelsuppe handelte. Neben Gemüse schwammen jede Menge Rindermagenteile in der Brühe herum. Ich bin ein bisschen traumatisiert von dem Zeug, denn in Afrika musste ich Rindermagen gemischt mit  Rinderdarm essen, der allerdings nicht gut ausgewaschen war und somit das ganze Gericht nach Schei**** schmeckte. Aber da musste ich nun wohl durch. Ich gebe zu, dass ich es mir schlimmer vorgestellt hatte. Die Gewürze, vor allem der Ingwer, überdeckten den Geschmack des Magens. Nur die Konsistenz fand ich nicht so prickelnd. Ich würgte mir das Zeug runter und schaffte es sogar ohne Brechreiz. Wenigstens war ich dann gesättigt. 

Nun bin ich zurück in meinem Haus in Mérida. Das Ziel für Morgen ist ein weiteres Bergdorf: Los Nevados, welches noch viel abgelegener und höher liegt als La Azulita. Dort würde ich gerne Weihnachten verbringen. Es könnte jedoch eine ziemliche Mission werden, einen Transport dorthin zu finden. Wünscht mir Glück!


Hasta Luego!

Eure Michi :)


















Mittwoch, 18. Dezember 2024

Mérida - in den Anden Venezuelas

By On Dezember 18, 2024

 

Mérida, Venezuela

Angekommen in den Anden Venezuelas. Das Klima ist hier auf alle Fälle angenehmer, als an der Küste. Der Flug verlief problemlos und bei meiner Ankunft am Flughafen in El Vigía wurden mir ausnahmsweise keine lästigen Fragen gestellt. Ich hatte das Glück, dass mein Couchsurfing Gastgeber Alirio gerade in der Nähe war und mich somit gleich einsammeln konnte. El Vigía liegt nämlich etwa eine Fahrstunde von Mérida entfernt. Alirio scheint ein recht wohlhabender junger Mann zu sein. Er erzählte stolz von seinen Häusern und Autos. Ich denke wir haben wohl nicht sonderlich viele gemeinsame Interessen. Wir kamen bei seinem Haus an. Er war schon seit über einem Monat nicht mehr hier, da er sowieso mehrere Häuser in der Umgebung besitzt. Das sah man auch, deshalb bediente ich mich erstmal eines Putzlappens, um ich halbwegs wohl zu fühlen. Ansonsten ist das Haus aber sehr schön und vor allem groß. Am Nachmittag gingen wir noch auf eine Pizza. Während Alirio fast die ganze Nacht durch die Clubs und Bars zog, bevorzugte ich das Bett. 


Mérida, eine hübsche, kleine Stadt in den Anden Venezuelas


Am Samstag Morgen gingen wir gemeinsam frühstücken. Wir hielten dann noch bei einem Schlosser. Kurzerhand ließ Alirio seinen Haustürschlüssel nachmachen und drückte ihn mir in die Hand. Er müsse nämlich morgen Früh zurück zu seiner Farm in El Vigía und wisse nicht ob wir uns wiedersehen. Ich könne aber solange in seinem Haus wohnen, wie ich wolle. Wow! Das klang auf alle Fälle nicht schlecht, da es sich in Mérida bestimmt ein paar Tage - oder sogar mehr - aushalten lässt. Am Nachmittag erkundete ich den Botanischen Garten, wo ich mein Mittagessen mit hungrigen Schildkröten teilte. Während ich meine Kekse aß, kamen die gefräßigen Tierchen aus dem Wasser und schauten mich mit bettelnden Hundeaugen an. Es ging sogar soweit, dass mich eine in den Zeh gebissen hat. 


Hungrige Schildkröten im Anmarsch


Am Ende war ich von etwa fünfzehn dieser süßen Tierchen umzingelt. Eine biss mich sogar in den Zeh *lach*


Danach besuchte ich den Zoo, welchen ich dann aber mit gemischten Gefühlen wieder verließ. Es gibt dort jede Menge Wildkatzen und Wildvögel, die aber auf engstem Raum gehalten werden. Schön fand ich die kleinen Wanderwege und den Wasserfall dort. Eintritt zum Zoo: 3 USD. Am Rückweg nach Hause machte ich bereits meine 3. Schlangenbegegnung in Venezuela: auf einer Steinmauer lauerte sie gerade einer Echse auf. Da ich mich in sicherer Entfernung befand, hielt sich der Nervenkitzel diesmal in Grenzen. 


Im Zoo von Mérida 


Der Nationalpark La Culata

Über hundert Ecken bekam ich den Kontakt von Ismael. Er ist ein Freund von Angela, und den Kontakt von Angela bekam ich von Jeraldine, die auf Couchsurfing vertreten ist, sich aber im Moment im Ausland befindet. Ismael liebt es zu wandern. Kurzerhand beschlossen wir am Sonntag Morgen ein Trekking im Nationalpark La Culata zu machen. Wir trafen uns frühmorgens  im Zentrum von Mérida. Ismael war erleichtert, dass ich Spanisch spreche. Der junge Mann war ziemlich aufgeregt und bombardierte mich mit Fragen. Ich bin tatsächlich die erste Ausländerin mit der er Kontakt hat. Er selbst hat Mérida noch nie verlassen, träumt aber davon die große weite Welt zu bereisen. Sein Geld verdient er als Tätowierer. 

Wir nahmen einen Bus von Mérida nach La Culata. Das war super aufregend, denn Mérida befindet sich auf 1.600 m Seehöhe und La Culata auf 3.000m. Es ging also enge Bergstraßen hoch und wir kamen durch viele wunderschöne Bergdörfer. Kosten für die einstündige Fahrt: 0,68€. 

Im Nationalpark muss man sich erstmal registrieren und die Route angeben. Ich stellte fest, dass sich die Höhe bemerkbar machte und ich ziemlich kurzatmig war. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich die letzte Zeit auf Meereshöhe verbracht habe. Wir wanderten durch das Valle Muerto (Totes Tal) bis zum zweiten Refugio - ein simpler Unterstand aus Steinen gebaut. Dort am Fluss machten wir eine Mittagspause, bevor wir uns wieder an den Rückweg machten. Insgesamt waren wir sechs Stunden unterwegs. Von La Culata aus versuchten wir es per Autostopp zurück, da es nur sehr wenige Busverbindungen (zwei oder drei am Tag) gibt. Zwei Mopedfahrer nahmen uns ein Stück mit. Ohne den Motor anzulassen, rollten wir die steilen Bergstraßen hinunter, um Sprit zu sparen.  


Wir starteten unsere Wanderung auf 3.000m Seehöhe.



Das zweite Refugio

Ismael

Das Geheimplätzchen am Fluss

Ich freute mich sehr, als mir am Abend Angela schrieb, dass sie mir am Montag ein Geheimplätzchen an einem Fluss zeigen möchte, wo wir baden könnten. Die Wanderung war nicht sonderlich lange, aber sehr aufregend. Wir mussten über ein paar Zäune klettern bis wir schließlich an einem glasklaren, eiskalten Fluss ankamen. Meine Freude war groß, denn ich liebe eiskaltes Wasser. Mich erstaunte der Abenteuergeist der 25-jährigen Angela, denn die meisten Latinas, die ich in Venezuela kennengelernt habe, interessieren sich eher für Shopping und Schminken. Wandern ist vielen komplett unbekannt. Noch mehr erstaunte mich, dass sie sich kurzerhand splitternackt in die kalten Fluten stürzte. Sie meinte, dass sie so etwas mit ihren Freunden hier niemals machen könnte, da dies gegen alle soziokulturellen Regeln in Venezuela verstoßen würde. Da sie aber gehört hatte, dass wir da in Europa offener wären, nutzte sie dies gleich in vollen Zügen aus. Angela liebt es zu zelten und zu trampen. Sie gab mir dutzende Geheimtipps für die Umgebung rund um Mérida mit auf den Weg. Da ich nun ein eigenes Haus hier habe und es allerhand zu erkunden gibt, könnte ich mir vorstellen, dass ich etwas länger bleibe als ursprünglich geplant ;)

Mit Angela an ihrem Geheimplätzchen am Fluss


Als wir später noch durch Mérida schlenderten gönnten wir uns eine Cocada. Es ist ein Getränk, das aus frischem Kokoswasser und dem Fruchtfleisch der Kokosnuss gemixt mit Eiswürfeln und ein bisschen Zucker besteht. Ich liebe es!


Der Plan für morgen ist es, das Bergdörfchen La Azulita zu besuchen, wo ich wahrscheinlich auf einer Farm unterkommen kann. Bin aber noch am Recherchieren. 


Hasta luego!

Eure Michi :)