Enter your keyword

Freitag, 27. Dezember 2024

Los Nevados: Wo die Zeit stillzustehen scheint


Los Nevados, Mérida, Venezuela

Mission Transportmittel

Einen Transport in das Bergdörfchen Los Nevados zu finden, war wieder mal ein Krampf. Es hieß, dass ich am Plaza Las Heroínas in Mérida suchen sollte. Dort hätte ein Herr sein Büro, der für die Jeeps verantwortlich sei, die dorthin fahren. Leider war das Büro geschlossen. Ich fragte ein paar der Männer, die dort ihre Sachen verkauften, ob sie mir irgendeine Auskunft geben könnten. Sie meinten, ich solle morgen - am Montag - einfach um 7 Uhr früh hierher kommen, denn montags würde eigentlich immer ein Jeep fahren. Ich versuchte die Telefonnummer, die an der Bürotüre angebracht war, anzurufen - jedoch erfolglos. Über mehrere Ecken bekam ich eine andere Nummer. Derjenige, der abnahm, meinte dass erst mittwochs wieder ein Jeep fahren würde. Das war mir eindeutig zu spät. Schön langsam rennt mir nämlich die Zeit davon. In gut zwei Wochen sollte ich schon auf den Galapagos Inseln sein. Nach ewigem Recherchieren fand ich noch eine weitere Nummer. Dieser Herr meinte wiederum, morgen um 7 Uhr würde ein Transportmittel vom Plaza Las Heroínas abfahren. Mein Wecker klingelte also am Montag um 5 Uhr morgens. Die Nacht war ziemlich nervenaufreibend, da im Nachbarhaus die ganze Nacht Fiesta angesagt war. Alirio erlaubte mir weiterhin Sachen in seinem Haus zu deponieren. Es fühlte sich mittlerweile schon an wie mein eigenes Haus. Alirio habe ich seit über einer Woche nicht mehr gesehen. Nach einem 40-minütigen Fußmarsch erreichte ich den Plaza. Dort saßen tatsächlich die Herren mit dem Jeep. Sie meinten wir müssten warten, da noch keine weiteren Fahrgäste da wären. Über zwei Stunden saß ich mit ihnen da. Dann musste ich einsehen, dass heute niemand mehr kommen würde. Ich gebe zu, dass ich etwas angepisst war. Sie versicherten mir aber, dass sie morgen 100%ig fahren würden. Wenn ich jedoch 60 USD zahlen würde, könnten sie mich auch sozusagen als Privattransport da rauf bringen. Das war mir eindeutig zu viel. Ansonsten würde die Fahrt nämlich 20 USD kosten. Im Prinzip war der Montag dann ein verlorener Tag. Ich war sowieso ziemlich müde und beschloss mir die Zeit mit Frustessen zu vertreiben. Ich gönnte mir Tiramisu, Eiskaffee, ein leckeres Abendessen usw. Es hieß ich sollte am Montag um 9 Uhr wieder am Plaza Las Heroínas sein. Um 10 Uhr würden wir losfahren. Ich startete also einen erneuten Versuch. Mittlerweile war der 24. Dezember - also Heiliger Abend. Wie sehr wünschte ich mir doch als kleines Weihnachtsgeschenk, dass das heute klappt. Ich hatte überhaupt keine Lust Weihnachten in Mérida zu verbringen. Am Plaza angekommen, waren schon mehrere Leute vor Ort. Es wurde auch schon gleich begonnen, das Gepäck auf das Dach des Jeeps aufzuladen und festzubinden. Auch mein Rucksack. Um 9:20 Uhr fuhren wir los. Man kann sich also auf Uhrzeiten in Venezuela null verlassen - entweder wird viel zu früh oder viel zu spät gestartet *lach*. Aber ich denke Zeit spielt hier einfach keine Rolle. 


Das idyllische Bergdörfchen Los Nevados


Eine abenteuerliche Fahrt

Als ich später im Jeep saß und sogar vorne sitzen durfte war mein Glück perfekt. Wir quetschten uns zu dritt auf die zwei Vordersitze, fünf Leute am Rücksitz und zwei im Kofferraum. Wir fuhren noch ewig lange herum, um Sachen einzukaufen und um zu tanken. Die nächsten 60 km ging es steile, sehr abschüssige und großteils unasphaltierte Bergstraßen hoch - das ist eindeutig nichts für schwache Nerven. Der Weg windet sich von Mérida aus durch die spektakuläre Bergwelt und schlängelt sich immer weiter hinauf, vorbei an tiefen Schluchten und durch Nebelwälder. Dem Mädchen neben mir war übel und wir mussten mehrmals halten, da sie sich übergeben musste. Einmal machten wir einen längeren Stopp. Mir wurde zum ersten Mal Chicha serviert. Es handelt sich dabei um ein traditionelles Getränk Venezuelas, das durch das Fermentieren von Mais hergestellt wird. Es schmeckt recht süß und leicht alkoholisch.  Nach etwa 5 Stunden Fahrt kamen wir endlich in dem Dörfchen Los Nevados an.


Los Nevados - ein Bergdorf auf 2.700 m Seehöhe

Los Nevados ist ein charmantes Bergdörfchen auf 2.710m Seehöhe inmitten des Sierra Nevada Nationalparks. Es wurde im Jahr 1591 von spanischen Kolonisten gegründet und ist somit eines der ältesten Dörfer in der Region. Die abgelegene Lage macht das Dorf zu einem isolierten Ort, was dazu beitrug, dass viele der Traditionen, Bräuche und die Architektur aus der Kolonialzeit bis heute bewahrt wurden. Die Menschen in Los Nevados leben schon seit Jahrhunderten von Viehzucht, Landwirtschaft und Handwerk. 

Das Dorf ist tatsächlich noch kleiner als ich dachte. Es besteht vielleicht aus 15 Häusern. Mit seinen engen, kopfsteingepflasterten Straßen, den rustikalen Lehmhäusern und der kleinen Kirche, fühlte es sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben. In etwa fünf Minuten hat man das ganze Dorfzentrum durchwandert. Am Platz vor der Kirche tummelten sich ein paar Leute. Ein Mann sattelte gerade seinen Muli. Pferde und Muli sind hier die gängigsten Transportmittel. Einige haben ein Moped. Autos gibt es nicht. 


Die Kirche von Los Nevados wurde ursprünglich 1630 errichtet und 1917 restauriert. 

Weihnachten in den Anden 

Meine Unterkunft hier heißt Bella Vista und hat eindeutig den besten Ausblick im ganzen Dorf. Preis: 25 USD inklusive Frühstück und Abendessen. Es gibt sogar Warmwasser und WLAN auf der Terrasse. Neben mir sind noch zwei weitere Gäste angekommen: ein Vater mit seinem Sohn. Sie kommen aus Caracas und möchten gerne Weihnachten hier verbringen. Wir aßen zusammen zu Abend. Es wurde üppig aufgetischt. Zuerst ein großes Teller Gemüsesuppe. Ich dachte eigentlich das wäre die Hauptspeise. Doch dann kam noch gebratener Fisch, Reis, Kartoffeln und Salat. Dazu frisch gepresster Mangosaft. Und zulguterletzt noch ein Stück leckerer, selbstgebackener Kuchen. Und das Beste: es kommt alles aus dem eigenen Garten, was man hier serviert bekommt. Die Menschen leben nämlich großteils als Selbstversorger. Nur sehr selten wird der lange und beschwerliche Weg in die Stadt auf sich genommen. 


Meine Unterkunft, die Posada Bella Vista

Leckere Gemüsesuppe

Nach dem Abendessen erklang die Kirchenglocke. Die Dorfbewohner versammelten sich in der kleinen Kirche, um an der Messe teilzunehmen. Währenddessen genoss ich auf der Terrasse die sternenklare Nacht. Den Heiligen Abend in dem kleinen Dörfchen Los Nevados zu verbringen, umgeben nur von der stillen, atemberaubenden Bergwelt war etwas ganz Besonderes. 

Wanderungen rund um Los Nevados

Die Nacht war kalt. Ich war um die zwei Bettdecken sehr froh. Geschlafen haben ich hervorragend, denn es war wunderbar leise - was in Venezuela absolut nicht die Norm ist - und auch die kühle Luft war eine willkommene Abwechslung zu den sonst oft recht schweißtreibenden Nächten. Ich frühstückte tatsächlich mit dem Pastor, der gestern die Messe hielt. Er ist extra dafür aus Mérida angereist. In Los Nevados gibt's nämlich weder einen Pastor, noch einen Arzt oder eine Krankenschwester. Das heißt, wenn man mal akut erkrankt oder verunfallt muss man erst stundenlang steile, unbefestigte Bergstraßen hinunter gefahren werden bis nach Mérida. Der Pastor erzählte mir, dass er einige Jahre in Rom gelebt hat. Und dass vor über 20 Jahren hier wohl auch öfters ausländische Touristen ankamen. Das Frühstück war wieder sehr reichhaltig: Arepas, eine Avocado, Spiegeleier, Käse, Marmelade, Kaffee und frisch gepresster Guavensaft. Und alles selbstgemacht! Das Frühstück und Abendessen variierte übrigens jeden Morgen. Und es war jedes Mal köstlich! 

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich mit ausgiebigen Wanderungen. Einmal ging es in Richtung Pico Bolívar, der höchste Berg Venezuelas, der stolze 4.978m hoch ist. Ich erklomm zwar nicht den Gipfel, aber ich konnte ihn aus nächster Nähe betrachten. Am Morgen ist er manchmal leicht schneebedeckt, aber da die Sonne tagsüber so warm vom Himmel strahlt, schmilzt dieser auch ganz schnell wieder. Ich machte bei etwa 4.000m kehrt, da Wolken aufzogen. Ich wollte in kein Unwetter kommen, da ich doch ziemlich weit von Los Nevados entfernt war und auf einer solchen Höhe ist das wahrscheinlich nicht sonderlich angenehm. Am Rückweg lichtete sich der Himmel aber wieder und ich gönnte mir ein Bad in einem eiskalten Gebirgsbach. Später kam ich an ein paar Lehmhäusern vorbei und unterhielt mich mit den Farmern. Sie stellten ganz neugierige Fragen, da es ihnen doch recht ungewöhnlich schien hier ein Blondine anzutreffen, die ganz alleine durch die Berge wandert. 


Blick hinunter auf Los Nevados

Augenscheinlich gibt es hier Skorpione. Dieser hier befindet sich aber nicht mehr unter den Lebenden.


Viele abgelegene Farmen, gebaut aus Lehm. 



Mein heutiger Badeplatz :)

Die Wanderung am Donnerstag ging nicht so hoch hinaus. Zuerst wanderte ich eine tiefe Schlucht hinunter, wo ein glasklarer, eiskalter Fluss war. Die Abkühlung sparte ich mir für den Rückweg auf. Auf der anderen Seite wanderte ich wieder bergauf. Es gibt unzählige kleine Wege. Ich war erstaunt wie weit abseits viele Menschen hier in ihren Lehmhäusern leben. Sie haben weder Autos noch Motorräder. Wenn sie nach Los Nevados wollen müssen sie dort zu Fuß hin, was wohl mehrere Stunden dauert.  Oder sie nehmen den Muli oder ein Pferd. Aber da sie sowieso fast alles was sie brauchen selbst anbauen, ist das vermutlich nicht sonderlich oft nötig. 

Und wieder ist ein schöner Badeplatz gefunden



Mais wird auf Tierfellen getrocknet


Ein Dreschplatz für Getreide. Mithilfe von Ochsen wird das Getreide hier gedroschen. 


Zurück im Ort saß ich mit ein paar Dorfbewohnern im Schatten zum Plaudern. Ein netter Herr kam gerade mit seinem Muli angeritten und verkaufte mir ein paar seiner frisch geernteten Granadillas ( = so etwas ähnliches wie eine Maracuja, jedoch ist die Schale gelb und das Fruchtfleisch sehr süß). 


Ein Muli


Heute, am Freitag, sollte es wieder zurück nach Mérida gehen. Vorausgesetzt es kommt ein Jeep. Es hieß, dass normalerweise jeden Freitag um 12 Uhr einer auftauchen sollte. Also wartete ich am Kirchenvorplatz. Es war natürlich wieder einmal eine Geduldsprobe. Zwischendurch überlegte ich, ob ich vielleicht besser jemanden mit einem Motorbike zahlen sollte. Die Besitzerin meiner Unterkunft meinte, dass ich das nur im äußersten Notfall machen sollte, da die Fahrt einige Stunden dauert. Die Wege wären staubig und die die Sonne knallt vom Himmel. Um kurz vor 14 Uhr kam dann endlich doch noch der Jeep an. Die Rückfahrt dauerte erfreulicherweise "nur" drei Stunden. Ich konnte wieder vorne sitzen. Diesmal teilte ich mir den Sitzplatz mit einem recht molligen Mädchen - es war also ziemlich eng. Aber wenigstens musste sie nicht erbrechen. Die Rückfahrt kostete 15 USD. Nun werde ich noch eine Nacht in Mérida verbringen, bevor ich dann morgen weiter ziehe nach Barquisimeto



Eure Michi :)









Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Über Kommentare, Fragen, Wünsche & Anregungen freue ich mich immer sehr :)